Vom Paso Sico ist in Richtung San Pedro de Atacama, eine unglaublich schöne Berggegend, ich genieße die Fahrt in der frühen Abendstimmung, obwohl es ziemlich windig und kalt ist, solange bis: Richtig! Die rote Lampe leuchtet! Das Hinterrad ist platt, und zwar richtig platt! Abstellen, Koffer runter, Benzinkanister runter, Rad ausbauen, Leck suchen – mit Spucke finde ich das Leck sehr schnell; ist eigentlich nur ein kleines Loch!? Trotzdem ist der Reifen vollkommen drucklos. Loch aufbohren, Klebestreifen reindrücken, umdrehen, Werkzeug rausziehen, fertig. Rad montieren, Koffer montieren, Benzinkanister befestigen, elektrische Pumpe anschließen, aufpumpen. Der Reifen baut nur geringen Druck auf und wenn ich die Pumpe abschalte, geht die Luft schnell wieder aus. Koffer abmontieren, Benzinkanister runter, Rad ausbauen, Leck suchen. Finde schnell das zweite Loch. Loch aufbohren, Klebestreifen …. Rad montieren, Koffer montieren, … Luft einpumpen. Der Reifen baut nur geringen Druck auf … Koffer abmontieren, … Das Leck, das ich beim dritten Mal finde, ist ein Schnitt mit zwei Zentimeter Länge! Das wird interessant! Ich nehme insgesamt drei Streifen und versuche das Leck zu stopfen. Dieses Mal aufpumpen BEVOR ich das Rad montiere!!! Und: Das Leck ist undicht, aber, es leckt nicht zu stark und ich hoffe, dass das Aufpumpen in Abständen von 20 Minuten reicht. Rad montieren, Koffer montieren, Benzinkanister … Ich fahre los, Druck im Reifen 0,8 bar. Vorbei an der Laguna de Aguas Calientes, trotz der wunderschönen Lage der Lagune möchte ich nicht campieren, sondern werde versuchen so rasch wie möglich in eine Stadt zu einer Gomeria zu kommen. Der Druck fällt stetig, aber ich komme doch 40 Kilometer weit.
Ein chilenisches Auto am Straßenrand, ehe ich vorbeifahre fährt der Fahrer los, ich überhole ihn und deute ihm an anzuhalten, macht er nur sehr zögerlich. Er öffnet einen Spalt das Fenster, ich frage ihn, wo ich Hilfe für meinen defekten Reifen bekommen kann. Er hat keinen Rat, schließt das Fenster und fährt weiter. Wieder einmal Aufpumpen und wieder 40 Kilometer weiter, Aufpumpen und … fünf Kilometer, dann ist kein Druck mehr im Reifen. Nach dem Absteigen kommt mir das Motorrad so aufgeräumt vor?! Dass das Top Case und der Benzinkanister fehlen fällt mir erst beim zweiten Hinschauen auf. Im Top Case sind die meisten meiner Campingsachen, im Benzinkanister …
Alles schön der Reihe nach:
Der Hinterreifen lässt sich nicht mehr flicken.
Auf Hilfe hoffen und warten: Der Einzige, den ich in den letzten Stunden getroffen habe war nicht sonderlich hilfsbereit, eher das Gegenteil.
Es wird Abend, die Grenzstation am Pass schließt um 19:00 Uhr, da kommen heute auch nicht mehr viele vorbei.
Werkzeug und Schlauch auspacken. Richtig: Koffer abmontieren, dadurch, dass das Top Case fehlt geht es etwas schneller. Rad ausbauen.
Natürlich habe ich mir schon vor der Reise im Internet Reparaturvideos und wie man einen Reifen von der Felge bekommt angesehen – mit dem Seitenständer, ganz easy. Bis jetzt hatte ich aber noch keine Gelegenheit das machen zu „dürfen“. Gleich vorweg: In den Videos ist es: Ganz leicht! In der Realität: Ganz schwer! Etwas Sorge macht mir die untergehende Sonne, aber ich habe ja meine Campingausrüstung, Schlafsack, … stimmt, im Top Case! Reifen unter den Seitenständer, Maschine etwas angehoben, ist ja ganz leicht, weil die Koffer und das Hinterrad sind ja abmontiert (;-.). Drücke mit dem Seitenständer gegen die Seitenwand des Reifens und … nichts. Lediglich das Bike neigt sich etwas nach hinten, es steht ziemlich labil auf dem Vorderrad und dem Seitenständer – das Hinterrad ist ja ausgebaut. WD 40! Ordentlich eingesprayt, neue Versuche, … kein Millimeter. Es wird leicht dunkel. Dann muss ich eben die Seite wechseln, ordentlich WD 40, und mit vollem Gewicht, Maschine und ich, gegen den Reifen und: Der Reifen löst sich von der Felge! Um den Schlauch montieren zu können muss ich das Ventil ausbauen. Ich suche im Reifen nach den Nägeln, Schrauben, Steinen … die die Löcher verursacht haben, ziehe die eingezogenen Klebestreifen raus und setze den Schlauch ein. Reifenränder ordentlich einfetten und aufpumpen. Es ist richtig dunkel – finster. Langsam baut sich Druck auf, lediglich an einer Stelle geht der Reifen nicht vollständig auf das Felgenhorn. Die Pumpe schafft gerade einmal drei Bar, auch kräftiges Aufspringen des Reifens bringt es nicht. Da ich ohnehin einen Schlauch im Reifen habe ist es kein wirkliches Problem, Rad montiert, fertig.
Langsam der Reihe nach:
– Reifen: Repariert
– Koffer: Noch montieren
– Top Case und Benzinkanister: Sind nicht da.
Ich vermute, dass ich beim oftmaligen Auf- und Abmontieren der Koffer einfach vergessen habe das Top Case zu versperren, es sich während der Fahrt gelöst hat und mit dem Benzinkanister heruntergefallen ist. Seit dem bin ich 90 Kilometer gefahren, Schotterstraße.
– Bis jetzt ist kein Auto passiert.
– Im Tank ist noch für 190 Kilometer Sprit.
– Bis San Pedro de Atacama sind es laut Navi noch 165 Kilometer.
Ich beschließe zurück zu fahren und auf gut Glück das Top Case und den Kanister zu finden. 50 Kilometer zurück, vorbei an der Laguna de Aguas Calientes, sieht wunderschön aus bei Mondschein, weitere zehn Kilometer danach: Mitten auf der Straße liegt, besser steht mein Top Case, 20 Meter dahinter der Benzinkanister! Unversehrt, das heißt der Benzinkanister, das Top Case hat sich ordentlich verbogen, die Plastikteile haben sich zerlegt. Biege das Top Case zurecht, am Träger montiert, Benzin in den Tank umfüllen – alles wieder ok! Bin vollkommen zufrieden mit mir und der Welt. Es ist neun Uhr abends, Reifenreparatur auf 4.500 Meter ohne Hilfsmittel erledigt, Sprit für 300 Kilometer im Tank, bis San Pedro sind es 220 Kilometer. Nach 70 Kilometer beginnt die Asphaltstraße, mit 160 kmh ist es nur mehr ein Katzensprung bis San Pedro de Atacama. Dort hatte ich bereits im Hostal Rincon de Quitor gute Erfahrung gemacht, ich steuere das Hostal an, alles finster, ich klopfe an der Tür, der Besitzer öffnet schlaftrunken nach einigen Minuten – Ich: Ich brauche ein Zimmer für zwei Nächte. Er: Wann? Ich: ??? Na jetzt!!! Es sind Zimmer frei! Gute Nacht! Beim Frühstück: Ich bin der einzige Gast …
Als erstes möchte ich zu einer Gomeria, der Reifen fühlte sich gestern Abend seltsam schwammig an, heute früh ist er ziemlich flach. Michael, der Besitzer des Hostals weiß Rat:
– Der „Reifenschuster“ heißt in Argentinien, Bolivien „Gomeria“, in Chile „Vulcanisacion“.
– In San Pedro sind unmittelbar bei der Grenzstation zwei Vulcanisacion.
Die Reparatur geht ziemlich flott, im Reifen finden wir noch einen drei Zentimeter langen Nagel, denke, den habe ich in der Dämmerung übersehen, dadurch wurde der Schlauch ebenfalls durchlöchert. Schlauch wird geflickt, das Schlauchlosventil montiert, weiter: Mitgebrachten Reifen aufziehen. Der sieht nicht gut aus! Ich hatte ihn einige Zeit am Top Case befestigt, durch die Erschütterungen hat er an den Flanken starke Kerben erlitten, der „Fachmann“ beruhigt mich – No Problem! Und es geht wirklich, der Reifen ist dicht. Alles wieder wie neu, nicht ganz! Wäsche – dann wie ganz neu. Neben mir fährt ein Wagen mit Campingaufbau in den Hof, den Wagen kenne ich?! Francesco und Barbara habe ich in El Penon vor einem Monat damit getroffen, nun ist ein anderer Fahrer im Fahrzeug. Ich spreche ihn an, es ist das Auto der Beiden, er kennt sie sehr gut und hat sich den Ford für einige Monate für eine Rundreise durch Südamerika ausgeborgt – wieder einmal spielt der Zufall mit.
Nichtstun, relaxen, Wäsche waschen, tanken, … Ich genieße den Gartenbereich mit der wunderbaren kleinen Holzterrasse und Blick auf den Licancabur. Nächster Tag, auf zum Frühstück: „Gehört des Bike dir!“ im besten Österreichisch. Jörg Moritz, Österreicher, ist gestern den Atacama Wüsten Marathon gelaufen – bis auf 4.000 Höhenmeter – und auf dem Weg nach Santiago. Er erzählt über seine Reisen und die vielen Laufveranstaltungen, an denen er bisher teilgenommen hat – ich bin vollkommen sprachlos über die Leistung dieses Mannes, und dabei schaut er vollkommen erholt aus – Moritz, viel Erfolg weiterhin!
Quer über den Salar de Atacama, das heutige Ziel ist Antofagasta. Der „Salzsee“ ist etwas anders als zum Beispiel der Salar de Uyuni, es besteht aus groben Schollen, die Wege sind in den Salar gelegt, abseits fahren ist nicht denkbar. Verstehe bald sehr gut, warum diese Wege angelegt wurden, am Salzsee wird intensiv abgebaut – Lithiumminen in großem Stil. Ich zweige von der Hauptroute ab, dabei sehe ich auf der Karte, dass von diesem Abschnitt die Zufahrt zum Paso Socompa ist, auf argentinischer Seite waren die letzten 30 Kilometer bis zum Pass unpassierbar (für mich!), so beschließe ich die chilenische Seite anzufahren. Bei der Abzweigung sehe ich Autospuren, etwas älter, aber zumindest sollten hier Fahrzeuge fallweise unterwegs sein. Nach einer Stunde Fahrt wird es immer unwegsamer, steile Streckenabschnitte, tiefer Sand, Sturz, … nach einer weiteren Stunde stehe ich bei der chilenischen Grenzstation, die beiden Grenzposten sind überrascht. Der Paso Socompa ist täglich rund um die Uhr besetzt, auf argentinischer und chilenischer Seite. Es ist ein Eisenbahnübergang, die Eisenbahn wurde aber bereits vor Jahren eingestellt, derzeit werden nur Fußgänger und Radfahrer abgefertigt!? Kein Zoll, und damit keine Fahrzeuge. Sowohl von argentinischer Seite als auch von chilenischer Seite sind es stundenlange Fahrten mit dem Motorrad von bewohnten Dörfern bis zum Pass – wie kommen Fußgänger und Radfahrer hierher? … und wie viele sollten das sein??? Die Grenzpolizisten sind jeweils 21 Tage in der Station, dann werden sie abgelöst, daher auch die Autospuren auf dem Weg hier her – da hätte ich ziemlich lange auf Hilfe warten müssen, wenn notwendig … Gerne machen sie Fotos und wünschen mir alles Gute für die Weiterreise.
Den Weg zurück, steiles Gelände, tiefer Sand, Sturz, … vorbei am Imlac Meteoritenkrater. Von weitem sehe ich eine riesige Staubwolke, ich wundere mich, der Wind ist eigentlich nicht so stark!? Estacion Zaldivar ist eine riesige Kupfermine, ich bin beeindruckt von der Größe des Geländes – eine ganze Stadt liegt hier mitten in der Wüste, Tagbaumaschinen, riesige Muldenkipper fahren in Kolonnen und häufen ganze Berge von Material an. Bin fasziniert von den Ausmaßen und den Materialbewegungen. Von der Mine geht eine asphaltierte Straße Richtung Antofagasta. Eigentlich eine Strecke zum zügig drauf los fahren, wenn da nicht die Benzinanzeige „Range 190 Kilometer“ und das GPS „195 Kilometer“ bis Antofagasta anzeigen würde. Ich hatte den Abzweiger zum Socompa nicht geplant, daher ist die Tagesstrecke, trotz Reservekanister, einfach – zu – lang geworden. Eine Siedlung ist auf dem Navi nicht zu sehen. Ich pendle mich mit dem Tempomat auf 75 kmh ein, verfolge Benzinverbrauch und Navi-anzeige, das wird knapp. Weiter runter auf 72kmh, dann bleibt die Benzin- und Entfernungsanzeige konstant. Die Straße ist oft bis zum Horizont schnurgerade, gut asphaltiert, Busse, Lastwagen, Tankfahrzeuge überholen – das macht nicht wirklich Spaß. Letztendlich erreiche ich Antofagasta ohne an einer Tankstelle vorbeigefahren zu sein, die Benzinanzeige steht auf fünf Kilometer. An der ersten Tankstelle tanken, gegenüber McDonalds, ich brauche ein Hotel und da sollte es Internet geben, ist aber nicht. Auf meine Frage an die Verkäuferin reagiert sie mit einem unverständigen Blick??? Überall auf der Welt ist bei McDonalds Internet, lapidare Antwort: „Not in Chile“. Nach dem Hamburger weiter die Promenade in Richtung Zentrum, ein nettes Hotel direkt an der Promenade, mit Parkplatz, Zimmer mit Meerblick.
Ich bleibe zwei Tage in Antofagasta, genieße das Meer, Spaziergänge in der Stadt, Essen am Fischmarkt, Cafeterias – im Hafen sind etliche Pelikane. Unweit vom Hotel eine Michelin Vertretung von Chile – ein neuer Hinterreifen ist seit dem „durchlöcherten Reifen“ am Paso Sico notwendig. Mit viel Glück findet sich im oberen Regal ein chilenischer Reifen mit dem richtigen Durchmesser – innen, nicht die Höhe. Dafür ist er statt 175 nur 155 Millimeter breit – wenn man ihn montiert wird er etwas flacher – so die Hoffnung. Ich kaufe ihn trotzdem, da es bis jetzt der erste Reifen nach langer Suche ist, bei dem zumindest der Durchmesser passt und die Chance besteht, dass er verwendbar ist. Die Essensbestände müssen aufgefüllt werden, auf dem Weg zurück ein Friseur, da sollte ich auch wieder einmal hin. Der Laden ist wie Fort Knox gesichert, Gittertor, versperrt. Den Haarschnitt wünsche ich mir wie Brad Pitt oder George Clooney, what else! Die Besitzerin kommt mit einem Foto von Brad Pitt – passt! Genau so! Wird dann doch nicht ganz so, weiß auch nicht warum (;-). Ausflug zum Mano del Desierto, ein Muss! Eine 1992 geschaffene, 11 Meter hohe Eisen- und Zementskulptur vom chilenischen Künstler Mario Irarrázabal in der Atacamawüste. Zurück in Antofagasta, Spaziergang am Strand, Baden ist nur für die echt Harten, das Wasser ist saukalt, der Humboldtstrom tut das seine dazu. Trotzdem sind viele Leute, Kinder im Wasser!? Und vergnügt! Ich gehe mit meiner Daunenjacke mit Kapuze zurück zum Hotel. Am Balkon eine von den guten Habanos, Blick über den Pazifik, Sonnenuntergang hinter dem Ozean – einfach traumhaft!
Danke für den sehr eindrucksvollen Reisebericht,,,
wir haben zu Neujahr 1981 Antofagasta genauso erlebt auf unserer Rucksackreise mit Frachtzügen über die Anden von Salta her kommend über San Antonio de los Cobres, Socompa und Palestina,,,
saludos