Kasachstan – Take a break

Die Ausreise aus Russland dauert nur einige Minuten. Weiter zum Tor nach Kasachstan, auch hier geht alles ganz schnell, werde an den Autos vorbei nach vorne gewunken. Passkontrolle, Zulassungsschein, einige Fragen zum Motorrad – Farbe, Wert, … und die freundliche Grenzbeamtin winkt mich durch. Der Zollbeamte möchte nicht einmal meine Zollerklärung sehen, für die ich bei der Einreise in Nordossetien-Alanien auf den Knieen herumrutschen mußte. Auch das Thema „Versicherung“ wurde nicht angesprochen, damit war ich in Kasachstan. Von der „Straße“ nach Atyrau hatte ich schon etliche leidliche Geschichten gelesen – kann sie alle bestätigen. Endlich haben die Stoßdämpfer Arbeit! Irgendwann war hier eine asphaltierte Straße, jetzt sind in der Schotterstraße nur noch Überreste des Asphalts vorhanden, die wie Stalagtiten aus dem Boden ragen – DIE sind das eigentliche Thema. Fahre slalomartig durch die Landschaft, witzig sieht das bei den LKWs aus, es ist eine Hauptverbindungsstrecke und es sind relativ viele unterwegs. Die Landschaft wechselt von Steppe, Pferde, Kamele, … aber eher mehr Steppe. Ganze Kamelherden tummeln sich auf der Straße, Herden von freilaufenden Pferden – gute Abwechslung für Fotos. Es sind einige hundert Kilometer und es dauert seine Zeit. In einem Ort zeigt maps.me einen Geldautomaten an, ich hin. Dort ist nur der Hinterhof einiger Wohnhäuser, fahre weiter in den Ort und: Gleich zwei Bankomaten nebeneinander, beide funktionieren und ich bin mit kasachischen Tenge wieder flüssig.  Vor Atyrau wird die Straße besser und ich finde ein sehr nettes Hotel Laeti-Shaeik direkt am Fluss. Abendessen gibt es gleich im Restaurant, bin müde und bald im Bett.

Das nächste Ziel ist in Richtung Usbekistan Beineu. Volltanken ist angesagt, es sind doch 400 Kilometer und Tankstellen sind eher rar, viel Steppe, kaum Häuser. Im Gegensatz zu der Strecke von der Grenze nach Atyrau ist die Straße von Atyrau nach Beineu vom feinsten Belag. Um Benzin zu sparen stelle ich die Cruise Control auf 110 kmh, und fahre wieder vorbei an Kamelenherden, Pferden, Gegend, viel Gegend –  Bin schon einige Stunden unterwegs. Muss ein Outing anbringen: Wenn ich allein über weite Strecken fahre ist Absingen von lautstarken Liedern unterm Helm angesagt, so auch hier „… cause all I need is music and a free electric band …“ Mit Albert Hammond im Helm glaube ich plötzlich mich tritt ein Pferd, an der Armatur leuchtet schlagartig das rote Alarmsignal und das Vorderrad ist eher schwammig. Weiß zwar nicht wie, komme aber ohne Sturz zum Stehen. Steige kurz ab, sehe dass die rote Lampe mit dem schwammigen Fahrverhalten korreliert. Mehr möchte ich noch gar nicht wissen. Bin einige Stunden nur durch viel Gegend gefahren, jetzt ist wie aus dem Nichts hundert Meter vor mir ein Gebäude und eine überdachte Fläche, dort fahre ich erst mal hin. Helm ab, Jacke ausgezogen, hinknieen: Das Vorderrad hat eine ordentliche Ecke abbekommen. Ansonst: Mein iPhone, das ich als Navi verwende ist weg. Das steckt nur in einer Halterung, bin damit tausende Kilometer durch Wüste, Schotterstraßen und auf den Vulkan Uturuncu gefahren ohne dass es sich jemals gelöst hätte. Überlegung: Mein anderes iPhone, das auch mit den selben Apps und Karten geladen ist, habe ich in Tschetschenien „geerdet“ = verloren. Beschließe mich zuerst auf die Suche nach dem Mobiltelefon zu machen, es fahren doch etliche Autos, LKWs und ich möchte nicht zu viel Zeit verlieren, wenn es noch eine Chance geben soll es heil wieder zu finde. Die Stelle an der mich „das Pferd getreten hat“ ist leicht zu finden. Es ist die Auffahrt zu einer Brücke, an der der Asphalt weggebrochen ist und der Übergang zum Betonbelag wie ein Randstein ist – nur quer zur Fahrbahn! Suche das Telefon, immer wieder kommen Autos, die entweder die Stelle kennen und in Schlangenlinien drüber fahren, oder genau so wie ich durchgeprügelt werden. Fühle mich total unwohl, weil ich fürchte dass ein Fahrer die Kontrolle verliert und ich auf der Brücke keine Chance zum Ausweichen habe. Suche schon eine geraume Zeit – nichts, nada, auch unter die Brücke, da ist natürlich Wasser … bin schon am Aufgeben und gehe zurück. Sehe dann doch auf der anderen Seite unter der Brücke, knapp vor dem Wasser mein iPhone, schon einige Entfernung vom „Randstein“. Runter zum Fluß und: Es ist ordentlich ramponiert aber funktioniert immer noch! Jetzt zum Motorrad. Unter dem Flugdach steht ein Wagen mit usbekischem Kennzeichen, ein Bursch sitzt davor, die Ohrhöhrer tief im Kopf versenkt. Ich weiss noch nicht, ob und wie ich die BMW wieder fahrbereit bekomme, aber das Vorderrad werde ich ausbauen müssen. Erster Schritt: Motorrad auf den Mittelständer. Bei voller Beladung bin ich zu leicht, als dass ich das allein könnte, spreche den jungen Mann an und der hilft mir ganz bereitwillig. Er ist auch interessiert wie ich das Rad ausbaue. Spätestens jetzt wird es spannend, ich habe nun schon etliche Male den Reifen mit dem Seitenständer aus der Felge gedrückt, easy war es nie. Auch dieses Mal nicht. Der junge Bursch hilft mir und wir drücken gemeinsam immer wieder die BMW mit den Seitenständer gegen den Reifen. Das gute Öl vom Endgetriebe kommt zum Einsatz, nach etlichen Versuchen schaffen wir es den Reifen aus den Nasen der Felge zu bekommen. Der Rest geht mit den Montiereisen ganz leicht. Die Felge hat einen tiefen Eindruck, der junge Mann schaut etwas bekümmert, deutet mit Hammerbewegungen an was seine Meinung dazu ist, gebe ihm recht!

„Gutes Rad ist teuer, wo hängt der Hammer?“ Hat er keinen. Etwas weiter vorne stehen zwei LKWs am Straßenrand, die haben normalerweise immer schweres Werkzeug dabei, mit der Felge rüber. Leider sind keine Fahrer da, schau mich etwas um, eine kleine Hütte, ein altes russisches Auto fährt darauf zu, ich hin. Der Fahrer steigt aus, ich deute im an, dass ich einen Hammer brauche, auf russisch: „Matek“. Er verzieht keine Miene, geht zur Hütte, wickelt ein altes Seil um eine Welle und startet den Stromgenerator?! Deutet mir an ich soll mich ins Auto setzen und wir fahren einige Meter auf die andere Straßenseite, dort steht in einer kleinen Senke ein Haus. Er steigt aus, sperrt auf geht rein und kommt mit einem Hammer zurück. Die Kasachen haben es, ähnlich wie die Russen, nicht so mit der Empathie, sind aber ausgenommen hilfsbereit und ich habe einen Hammer. Auf Betonsteinen neben dem Haus dresche ich auf die Felge ein, da tut sich echt wenig. Mein kasachischer Freund nimmt mir den Hammer aus der Hand, schlägt auch einige Male drauf und geht wieder ins Haus, kommt zurück mit einem richtigen Hammer. Wusste nicht, dass Aluminium so stabil sein kann, haue immer wieder auf die Felge und schaffe es diese wieder halbwegs in Form zu bringen. Die Prozedur geht dabei nicht ohne Risse an der Felge ab, merke: Aluminium ist nicht so zäh wie Stahl. Bedanke mich bei meinem Freund, der bleibt eher stoisch zurückhaltend. Zurück beim Motorrad, der junge Usbeke ist nach wie vor mit Musik hören beschäftigt, aber doch interessiert: Er sieht sich das Werk an und nickt mit dem Kopf, ich strecke den Daumen hoch und nach unten – er streckt in hoch und schaut zufrieden. Mittlerweile ist ein weiteres Auto dazu gekommen, seine Kollegen, sie kommen aus der Gegend von Buchara, sind etwas älter und nehmen engagiert an meiner Arbeit teil. Gemeinsam montieren wir mit den Montiereisen den Reifen samt Schlauch auf die Felge. Einer bietet eine Handpumpe zum Aufpumpen an, jetzt kommt mein Kompressor,  den ich mit Nito in San Juan, Argentinien gekauft habe, zum Einsatz. Nach einigen Minuten baut sich Druck auf, noch sitzt der Reifen aber nicht auf dem Felgenkranz. Etwas vom guten Getriebeöl, ein Knall, die erste Seite ist drauf, kurz danach auch die andere, das geht doch! Rad montiert, meine usbekischen Freunde bieten mir Waschpulver und Trinkwasser zum Hände waschen an. Es ist ordentlich heiß, die Arbeit hat einige Stunden in Anspruch genommene und ich bin ziemlich geschafft. Nachdem sich doch abgezeichnet hatte, dass die BMW wieder fahrtüchtig werden könnte, habe ich unterschiedliche Szenarien durchgespielt:

  • Weiterfahren: Usbekistan hat nicht die besten Straßen, die Infrastruktur und Distanzen sind ziemlich groß. Der Pamir Highway liegt noch vor mir, der ist grober Untergrund.
  • Neue Felge besorgen. Mein Plan war, dass ich in Kirgisistan einen Halt einlege, zurück nach Wien, Visa für Mongolei besorgen und dann weiter fahre. Könnte diese Unterbrechung bereits jetzt machen. Bin nicht sicher, ob Atyrau einen Flughafen hat – nehme diese Unsicherheit in Kauf.

Herzlicher Abschied von meinen neu gewonnenen Freunden, nehme ohne weiter zu Überlegen Variante 2, zurück nach Atyrau.  Überraschender Weise läuft das Vorderrad ganz stabil, auch Freihand. Check nach einigen Kilometern – alles bestens. Komme am Abend zurück ins Hotel nach Atyrau. Kurze Abklärung:

  • Es gibt einen Flughafen.
  • Ich kann die BMW im Hof abstellen, mein Gepäck in der Administration.
  • WhatsApp mit Bernhard von BMW: Felge ist nächste Woche verfügbar.
  • Flüge: Finde rasch einen Flug bereits für den nächsten Tag!

So sitze ich weniger als 24 Stunden nach dem harten Aufprall mitten in der Steppe Kasachstans bereits im Flieger nach Wien. Freue mich Sigrid nach unserem Urlaub in Georgien bereits zwei Wochen später wieder zu sehen, erzähle über die vielen Begegnungen meiner Reise (dass ich im Iran oft eingeladen und beschenkt wurde, Geld abgelehnt wurde, Russland, Kasachstan, …). Wir stimmen überein, dass das in Österreich nicht so ist. Montag zur Visaagentur – Antrag für Mongolei Visum. Gleich um die Ecke eine kleine Cafeteria,  sehe in der Vitrine ein Marillengebäck, hatte ich schon lange nicht, also rein, bestelle, im gleichen Augenblick denke ich: Bin gestern angekommen und habe sicher nur Dollar oder Tenge in der Geldbörse, so ist es auch. Ich entschuldige mich beim Verkäufer und möchte schon gehen, er meint ich soll es mitnehmen und beim nächsten Mal zahlen. Ich war noch nie da! Frage wo es einen Bankomaten gibt. „Zu weit, es ist schon ok“. Nehme es dankbar, aber doch überrascht an. Um die Ecke ein Bankomat, Geld abheben und zurück, jetzt möchte ich auch noch einen Espresso und kann meine Schulden begleichen. Frage: Woher kommen Sie? Der Verkäufer: Aus Syrien.

Felge besorgt, einige Tage Erholung in Bad Radkersburg. Das Visum kommt ganz zeitgerecht, nach der Abholung bei der Agentur wieder in die Cafeteria, das musste sein. Mit der Felge im Gepäck über Moskau nach Atyrau, ohne Probleme durch den Zoll – wieder on Tour! Passiere wieder die Stelle mit dem Vorfall. Eine Nacht noch vor der Grenze zu Usbekistan in Beineu.

1 Kommentar zu “Kasachstan – Take a break

  1. Hallo lieber Toni danke für die wiedermal spannend Story. Das ist ja immer irre was du alles erlebst. Wir sind mittlerweile in Cornwall angekommen und hatten heute den ersten Tag mit Linksverker. Ist sehr ungewohnt…. Liebe Grüße und weiter gute Reise Michi und Stefan

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