Früh raus, packen und Abfahrt. Ich wähle nicht den Weg über die Straße und San Cristobal, wo es noch eine Tankstelle gibt, sondern über den Salzsee – ich habe ja den 20 Liter Kanister voll. Einmal quer durch. Das GPS stelle ich auf den Punkt an der gegenüberliegenden Seite – 150 Kilometer entfernt – ein und fahre einfach ohne auf Wege, Pisten zu achten quer über den See. Noch Fotos von der beeindruckenden Kulisse und immer wieder auf den Punkt am Ende des Salzsees zu. Die Ausfahrt ist wieder einen Kilometer als angeschütteter Weg in den Salzsee angelegt. Mir ist die Strecke in den letzten Tagen nicht so ganz klar geworden, improvisieren ist gefragt. Über San Pedro de Quemes nach San Juan. In San Pedro de Quemes wieder ein sehr unnatürliches Bild: Eine trostlose Gegend, aber: Ein super angelegter Fußballplatz, mit Kunstrasen, sieht voll toll aus. Es wird eben Fußball gespielt. Ich frage mich, wo so viele Spieler herkommen, das Dorf ist überschaubar – klein – im Umkreis von 70 Kilometern bin ich nicht wirklich an Häusern vorbeigekommen? Weiter nach San Juan, dort kaufe ich bin MiniMercado etwas zum Essen, Fisch aus der Dose, Obst, … und suche weiter dem Weg in Richtung der Lagunen. Hinter San Juan liegt ein weiterer Salzsee, eine Route führt quer über den See. Bis ich hinkomme liegt noch streckenweise tiefer Sand vor mir, ziemlich anstrengend. Am Salzsee geht es recht gut voran, teilweise tiefe Spuren, aber keine größeren Probleme. In Chiguana muss ich mich entscheiden: Richtung Grenze zu Chile – Ollagüe – oder direkt über den Berg zum Einfahrt in die Lagunenroute – ich entscheide mich über den Berg. Gleich beim Eingang des Dorfes ist mit Schranken abgesperrt, ein junger Soldat fragt mich, verstehe kein Wort. Er öffnet die Schranke und holt seinen Chef, wieder ein ganz junger Bursch, vielleicht 19 Jahre. Wir „parlieren“ recht und schlecht, ob alle zusammen zum selben Thema ist mir nicht klar. Weitere Burschen kommen dazu, es ist offensichtlich ein Militärstützpunkt – einige Fotos und Diskussionen später fahre ich weiter. Die Strecke wird wieder sandig, dann bergig, dann bergig und sandig, dann bergig und sandig und steinig … Meine Reifen sind nicht ganz optimal für diese Strecke, ich habe noch immer die Reifen für die Rennstrecke aus Iquique. Der erste Sturz, kann das Motorrad nicht aufheben, zu schwer, alles abmontieren: Koffer, Benzinkanister, … neuer Versuch – geschafft! Alles wieder montieren, dauert alles in allem 25 Minuten, weiter … Nach circa 500 Meter – umgefallen. Koffer demontieren, Benzinkanister … wieder 25 Minuten. So „falle“ ich rechts und links auf den nächsten 20 Kilometer durch die Landschaft, Stunden vergehen bis ich endlich an die Ruta 701, von Uyuni nach Ollagüe komme, später lerne ich dazu: Das hätte ich einfacher haben können. An eine Einfahrt in die Lagunenroute denke ich gar nicht mehr, es ist bereits später Nachmittag. Ich beschließe bis an die Grenze nach Chile zu fahren und hoffe dort nächtigen zu können. 70 Kilometer, die Straße ist Schotter, ich komme aber ganz gut voran. Übler Geruch verbreitet sich, … der Vulkan Ollagüe sondert schwefelige Dämpfe ab und es stinkt bestialisch. Der Grenzort ist nicht besonders einladend und überschaubar klein. Dominierend ist der Bahnhof, nur ausrangierte Waggons, kein Betrieb.
Suche nach einem Hostal, Glück gehabt: „Hostal“ groß angeschrieben. Ich klopfe, klopfe stärker, … eine alte Frau öffnet die Tür: „Une habitacion por la noche …“ Unverständliche Antwort, schaut aber nicht einladend aus. Nach einer längeren Unterhaltung muss ich zur Kenntnis nehmen, dass die Hausherren auf Urlaub sind und daher das Hostal geschlossen ist. Gutes Rad ist teuer … ! Ok. Hier ist Bolivien zu Ende (Ollagüe ist der Grenzort in Chile), geht nur mehr in die andere Richtung zurück – Richtung Uyuni. Die gleiche Schotterstraße 70 km zurück und weiter, komme schließlich bei Alota vorbei, und das nach 130 Kilometern nach Ollagüe, seit einigen Stunden fahre ich bereits in der Dunkelheit. Rein in den Ort, ziemlich finster. Ich suche ein Hostal, frage beim Kiosk wo es ein Aljemento gibt, die Frau deutet mir den Weg und zu einer Unterkunft. Ich klopfe am Eingangstor, … Das Fenster geht auf und eine dunkle Gestalt blickt heraus, etliche Personen in einem Raum, alle in Betten beim Schlafen!? Die dunkle Gestalt deutet mir an, dass alles voll ist. Er kommt heraus und zeigt auf ein Haus, geht mit mir dort hin, klopft an dem Tor, eine Frau öffnet und er fragt sie offensichtlich, ob sie noch eine Schlafstelle hat, sie hat! 20 BOB = 2,7 Euro. Das Zimmer ist ziemlich einfach, aber ein Bett mit sauberer Bettwäsche. Dusche, Wachbecken sind quer über den Hof, stockfinster. Ich beschließe trotzdem Gesichtswäsche und Zähne putzen, dann ab ist Bett. Etliche Decken machen es doch erträglich warm. Am Morgen sehe ich die ganze Idylle. Duschen! Warmes Wasser gibt es gegen Aufgeld: 10 BOB für warm duschen. Ist ok, aber immerhin der halbe Zimmerpreis. Ohne Frühstück mache ich mich auf den Weg. Die Route habe ich nun umgedreht, wollte bei Alota wieder aus der Lagunenroute heraus, nun eben umgekehrt. Der Weg ist tiefer Sand, einige Kilometer nach dem Dorf die erste Furt, voll zugefroren. In der Nacht war es saukalt. Weiter, die nächste Furt. Bis Villa Mar wechseln tiefer Sand, Furten und einigermaßen feste Wege ab. Aber: Traumlandschaft! In Villa Mar: Geschlossener Schranken bei der Dorfeinfahrt, Ein Mann fragt mich – irgendetwas. Ich antworte einfach mit Laguna Colorada. Nach einigen Minuten des Wechselgespräches gibt er auf weiter zu fragen und öffnet den Schranken. Villa Mar ist eine kleine Oase inmitten von wüstenähnlicher Umgebung. Ich suche weiter nach dem Weg, das Navi zeigt relativ genau wie es weiter geht. Furten, tiefer Sand, … es geht in die Berge und wird zum Teil relativ steil. Die Reifen sind wirklich nicht gut geeignet! Bin bereits ziemlich durchgeschwitzt, obwohl es eher kalt ist. Ich kämpfe mich weiter voran, denke: Da möchte ich keinesfalls mehr zurück! Einfach weiter. Ich komme zu einer Lagune, man kann sie im Tal ganz gut sehen. Jetzt kommt mir auch ein 4×4 entgegen und hält, es ist eine Tourengesellschaft, die die Viertagesreise von Uyuni aus als Rundfahrt macht. Vier Passagiere, ich unterhalte mich mit ihnen, sie sind sehr beeindruckt von den Lagunen und der Landschaft. Der Fahrer möchte ein Bild mit meinem Helm, das geht. Er erklärt mir eindringlich den weiteren Weg, bei der nächsten Gabelung muss ich mich rechts halten, nicht links! Bei der Lagune angekommen sehe ich, dass hier Salz abgebaut wird, mitten durch die Salzgewinnungsanlage durch. Der Weg ist mir ziemlich unklar, ich fahre einfach weiter und komme bei einem kleinen Häuschen vorbei – hier ist Eintritt für den Nationalpark zu zahlen! Ich bin auf dem richtigen Weg! Nun komme ich auch zu der Gabelung, rechts halten … Der Sand wird ziemlich tief, ich komme nur mehr im Schritttempo voran. Mit den Beinen gehe ich rechts und links mit. Ziemlich anstrengend. Es ist relativ flach ansteigend und ich sehe den Weg in weiter Ferne. Die Stunden vergehen… ich bin schon ziemlich geschafft. Nach einem Hügel sehe ich plötzlich eine Lagune vor mir, rot – weiß!
Die Laguna Colorada! Motivationsschub! War schon notwendig. Bis ich an der Lagune ankomme dauert es noch ziemlich lange, erstens sind es etliche Kilometer, zweitens ist der Weg sehr schlecht, Sand, tiefer Sand. Ich komme bei einem oasenähnlichen Grünstreifen vorbei, mitten der Wüste ein kleiner Bach, Llamas, bunt geschmückt mit Bändern, keine Menschenseele. Bei er Laguna Colorada gibt es ein Hostal, brauche ich auch, den es ist mittlerweile wieder später Nachmittag geworden. Das Hostal liegt an der gegenüberliegenden Seite und ich muss um den See herum. Dabei lerne ich meine nächste Lektion: Lagunen sind Seen, der Boden eines Sees ist üblicherweise feiner Schotter, Lagunen sind am Austrocknen, dh sie waren früher grösser, dh in der Nähe von Lagunen ist … tiefer, feiner, loser Schotter! Nicht ganz ideal für`s Motorrad! Nachdem ich die Lagune erreicht habe geht der Weg in sicherem, aber doch ufernahen Bereich im tiefen Schotter. Umfaller: Koffer, Benzinkanister, … 25 Meter weiter, umfallen, … Manchmal komme ich nur zehn Meter weit bevor ich wieder stürze. Es gibt auch mit den Beinen keinen richtigen Halt am Boden, ich versinke teilweise so tief, dass das Motorrad einfach eine Schräglage bekommt in der ich es nicht mehr halten kann. Das Ganze ist eine sehr starke physische, aber noch mehr psychische Belastung, ich bin eigentlich verzweifelt und mit meinen Kräften am Ende. Zurück über den gefahren Weg möchte ich in keinem Fall. Wieder Sturz, dieses Mal ist es nur etwas prekärer, ich bin mit dem Fuß vom Koffer eingeklemmt, der Fuß ist auch verdreht, das Knie schmerzt, ich komme mit dem Bein einfach nicht heraus, die Stellung ist auch äußerst schmerzhaft. Ich drehe mich in eine erträgliche Position, Kräfte sammeln, Nachdenken. Ich entferne mit den Händen klein für klein den feinen Schotter und komme auf: Festen Schotter! Mühsam entferne ich aus dem festen Schotter Stein für Stein und grabe mich tiefer in den Boden bis ich das Bein frei bekomme. Bin voll erledigt, das Knie schmerzt ordentlich. Ich setzte mich auf den Boden und verschnaufe, bis zum Hostal ist es noch ca. 1/3 Runde um den See. In einigen Metern Entfernung sehe ich ein Skelett am Boden liegen, ein Llama! Das bringt mich dann doch zum Schmunzeln, Foto! Immer wieder bleibe ich stehen, nutze die Umfaller um gleich zu fotografieren und die Lagune, die Flamingos zu besichtigen, Eindrücke zu sammeln – bin vollends eingenommen von der Landschaft, den Vögeln und der Lagune. Ich fahre weiter, wobei von fahren kann keine Rede sein, es ist ein Hanteln. Genau kann ich es nicht sagen, aber ich denke dass ich 3 h um den halben See herum gebraucht habe bis ich das Hostal erreiche. „Une habitacion por la noce?“ und: Passt! Glück gehabt, es sind nicht alle Zimmer reserviert und ich bekomme ein Vierbettzimmer. Comidas: Si! Dusche: Si! Agua caliento: No! Heizung: No! … Ich bin trotzdem froh es bis hierher geschafft zu haben und denke, dass ich den härtesten Teil hinter mir habe … Zwei Autos kommen noch an, ich gehe zur Lagune, Fotos von der Lagune, den Flamingos, Vögel. Es wird dunkel und kühlt schnell ab. Im Hostal sind nun die beiden Gruppen aus den Autos beim Esstisch. Es sind gebuchte Touren, Nächtigung, Essen, all inclusive. Eine Gruppe ist aus verschiedenen Teilnehmern zusammengesetzt, Spanier, Australier, Ecuadorianerinnen. Sie laden mich zu ihrem Tisch ein, jeder erzählt seine Geschichte. Die Ecuadorianerinnen kommen direkt von der Küste, eine von ihnen wollte unbedingt das Altoplano besuchen, die Freundin hat sie aus Gefälligkeit begleitet. Es wird immer kälter, auch in dem Raum. Ich habe mittlerweile meinen Schlafsack ausgepackt und ins Bett gelegt, ohne möchte ich nicht schlafen. Die beiden Ecuadorianerinnen haben keine Schlafsäcke!!?? Am anderen Tisch wird französisch gesprochen, Es sind Franzosen, die sich einen 4x4WD privat gemietet haben und vier Tage von Tupiza zur Lagune kommen, sie sind völlig begeistert von der Landschaft. Bis das Essen fertig ist dauert es noch etwas, ich ziehe mich um, standesgemäß mit Lederhose und neonfarbenen, grünen Socken. Als ich aus dem Zimmer komme sind die Franzosen sehr erstaunt und machen einen angewiderten Eindruck, sie werden mir später sagen, dass sie mich für schwul hielten … Beim Essen kommen wir wieder etwas näher, sie erzählen von ihrer Reise, ich zeige meine Fotos und dann wendet sich die Stimmung. Jeder ist interessiert an meiner Reise, meine Erlebnisse und möchte mit mir fotografiert werden, ich bin ein Hero für sie! So schnell kann es gehen. Ihr Fahrer spricht übrigens sehr gut Deutsch, er hat viele Jahre in Hamburg gearbeitet. Sein Name ist Freddy Barron M., kommt aus Oruro und seine Visitenkarte habe ich noch bis heute. Er macht solche Fahrten als Einzelperson mit seinem uralten 4×4 WD. Zum Essen gibt es Gemüsesuppe und Spagetti.
Waschen, Zähne putzen und schlafen, ich bin hundemüde. Im Zimmer ist es empfindlich kalt, ich verziehe mich in meinen Schlafsack und mache alles dicht – kuschelig. Ich schlafe nicht besonders gut, wir sind auf einer Seehöhe über 4.000 Meter, ich spüre mein Herz bis zum Kopf schlagen, Kopfschmerzen. Gegen drei Uhr früh liege ich noch immer wach in meinem Schlafsack, ich beschließe ein Snickers zu essen. Lege mich zurück in den Schlafsack und dann beginnt eine der bedrückendsten Stunden bisher. Ich bekomme keine Luft, schnappe nach jedem Atemzug, hechle wie ein Hund – keine Luft … Das habe ich bisher noch nicht erlebt und mir wird vollkommen ungut zu Mute, was wird das? Nach einer guten Stunde vergeht alles wie es gekommen ist, … dann wache ich auf. Ich bin eingeschlafen und konnte so doch drei Stunden schlafen. Es beginnt laut zu werden im Hostal, die Ersten stehen auf. Ich krieche aus dem Schlafsack, Gesicht waschen, Zähne putzen. Die beiden Ecuadorianerinnen habe die Nacht ohne Schlafsack überstanden, sie haben gefroren wie die Schneider, aber jetzt ist es geschafft. Raus ins Freie. Das Motorrad ist unter einer dicken Eisschicht, das Thermometer zeigt -16 Grad! Jetzt beginne ich wieder nervös zu werden – die neue Batterie ist seit Jujuy nicht für die vollen Amperestunden sondern rund 20 Prozent geringer ausgelegt, beim Gespräch damals hat der Verkäufer noch gemeint, dass es bei Kälte Probleme geben könnte … Ich mechts goar net wissn … Frühstück, Koffer packen. Mittlerweile ist die Sonne am Horizont zu sehen und es wird rasch wärmer, eine Stunde später hat es bereits nur mehr -2 Grad. Zahlen – etwa 20.- Euro für Nächtigung und Essen. Alles verstaut, vier Schichten angezogen, dicke Handschuhe, alles dicht gemacht. Startversuch und: Läuft sofort aufs erste Mal! Ein Stein fällt vom Herzen. Abschied von den Anderen, Glückwünsche und weiter Richtung Arbol de Piedra – der Stone tree. Das Hostal liegt auf einer leichten Anhöhe, der Weg ist eigentlich ganz passabel und ich komme gut voran. Schon bei der Fahrt am Vortag war es einfach unangenehm, dass das Navi immer wieder ausfällt, ich bewege mich im Bereich um 4.000 Meter plus / minus. Beim Arbol de Piedra das nächste Highlight – ich bin völlig hingerissen von den Felsformationen. Einige Wagen der Tourengruppen sind bereits da. Der Bereich ist mit Steinen begrenzt, ich fahre trotzdem in dem Bereich ein, ein Foto mit dem Bike und dem Felsen muss einfach drinnen sein! Ein Fahrer eines 4x4WD bietet sich an zu fotografieren, es werden tolle Fotos, die mich bis heute im Bann ziehen. Ich fange die Stimmung mit jeder Faser ein und freue mich wie ein kleines Kind, es hierher geschafft zu haben. In Motorradzeitschriften und Internet habe ich von Fahrten in diese Gegend gelesen und war immer vollkommen fasziniert.
Mit Sigrid hatten wir den Reisebericht von Martin Leonhardt über die Lagunen und den Stone tree gelesen, kopiert, immer wieder die Bilder angesehen, diese unglaublichen Bilder und die Geschichten dazu, jetzt bin ich selber da. Ich denke an die gemeinsamen Stunden mit Sigrid, in denen wir diese Geschichten gelesen, die Bilder betrachtet und darüber gesprochen haben. Eine ungeheure Zufriedenheit stellt sich ein, ich bin sehr demütig und überzeugt, dass in meinem Leben ein Wendepunkt erreicht ist.
Es ist nicht einfach zu navigieren. Bis jetzt konnte ich anhand der Spuren im Sand den jeweils richtigen Weg erraten. Immer wenn man glaubt, dass es nicht schlimmer kommen kann, kommt es schlimmer.
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