Breche früh auf, dieses Mal die richtige Einfahrt in die nördliche Route. Über weite Wiesen, Wege mit teilweise tiefen Sandpassagen – einfach Richtung Osten. Eine Navigation ist wegen der vielen parallelen Wege und Abzweigungen überflüssig. Einige wenige Fahrzeuge, keine Jurten oder Ansiedlungen, immer wieder Furten durch teilweise beachtliche Flüsse. Suche nach steinigen Übergängen wenn ich auf Morast stoße, die sind mit dem Motorrad nicht befahrbar. Die Landschaft begeistert mich ob der Weite und der Einmaligkeit – Komme gut voran. Nach einigen Stunden Fahrt wird es hügeliger, die Wiesen bleiben, kaum Büsche oder Bäume, erste Ansiedlung. Teilweise morastiger Boden, möchte mir nicht ausmalen, wie es hier in der Regenzeit aussieht … Überquere immer wieder kleine Bergrücken und bin ziemlich flott unterwegs. Flott ist für mich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 60kmh plus auf dirt road mit Sand- und Morastpassagen. Schmaler Anstieg auf einen Bergrücken, tiefer Sand in der tiefen Spurrinne, das Vorderrad pendelt im Sand von selber rechts, links, da sollte und kann man als Fahrer überhaupt nicht eingreifen. Irgendwann wird das Pendeln zu stark und das Vorderrad gräbt sich seitlich in die Spurrille, das heißt kopfüber Absteigen bei 60 kmh. Es haut mich fürchterlich ins Gelände, habe Glück, lediglich mein lädierter Daumen (seit dem Sturz bei Perm, Russland) schmerzt noch mehr.
Der Motor läuft noch, drücke den Start/Stoppknopf … nix!? Der Not-Aus funktioniert, die Zündung lässt sich jedoch nicht abschalten. Hebe das Bike auf, nach einigen Monaten auf Reise geht das auch vollbepackt relativ easy. Das Windschild hängt traurig am Motorrad herum, der Sturzrahmen ist kaltverformt, das Display spielt wieder einmal Blockbuster – alle Alarm-Meldungen die man sich vorstellen kann laufen ab, die SOS Funktion ruft nach Hilfe, ich weiß zwar nicht wie und wo, das Gerät selber dann auch nicht: Keine Verbindung. Der Starter funktioniert, mehr möchte ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht wissen. Die Möglichkeit die Zündung durch Abklemmen der Batterie auszuschalten kommt nicht einmal im Ansatz in Frage, ich bin über hundert Kilometer von der nächsten Ansiedlung entfernt und habe schon seit längerer Zeit keine Pferde oder Menschenseele gesehen. Das Windschild mit Kabelbindern provisorisch befestigt und weiter. Läuft ganz gut, bis auf die vielen Meldungen am Display, die stören aber nicht. Nach einiger Zeit kommt eine Neue dazu: „Kühlflüssigkeitstemperatur zu hoch!“. Drücke ich weg, kommt aber nach fünfzehn Minuten wieder, weggedrückt. Das geht einige Male so weiter bis bei der Gabel vorne eine Fontäne hochgeht! Motortemperatur 136 Grad. Überlege: Die Zündung lässt sich noch immer nicht abschalten, der Motorlüfter läuft trotz hoher Temperatur nicht, wenn eine Wasserfontäne rausspritzt ist der Kühler nicht beschädigt, das heißt: Wenn ich schneller fahre kühlt die Flüssigkeit durch den Fahrtwind. Das mache ich dann so gut es in dem unwegsamen Gelände geht, die Temperatur pendelt zwischen 110 und 140 Grad, aber ich fahre – noch?! Erreiche tatsächlich einen kleine Ort, Tsetserleg, nicht zu verwechseln mit der Stadt auf der mittleren Route in der Nähe von Karakorum. Kurze Frage an einen jungen Mann: „Hotel“??? Er deutet weiter vorne rechts! Hatte ich überhaupt nicht erwartet. Fahre weiter, frage noch ein junges Pärchen auf dem Motorrad, sie nickt mit dem Kopf und zeigt nach rechts. Finde tatsächlich ein Haus auf dem „Hotel“ steht.
Durch Türe im Holzzaun, im Hof. Eine Jurte, eine Frau kommt heraus: Ist das ein Hotel? … Ist es! Und sie hat ein Zimmer frei! Mit der BMW durch das Tor in den Hof, zuerst klemme ich die Batterie ab um die Zündung auszuschalten. Danach ins Zimmer, jetzt kommt wieder einmal das Glück zum Tragen: Das Hotel hat ganze zwei Zimmer! eines ist bereits belegt, das zweite noch verfügbar. Der Hausherr kommt dazu, zeige ihm meine Probleme mit dem Bike, er geht zum Haus, öffnet die Tür zur Garage, ein russischer Bus: Er ist Busfahrer und fährt regelmäßig von Tsetserleg nach Mörön. ER zeigt mir stolz auf der Seite des Busses die Aufschrift: GS Trophy 2018! Er ist für die Trophy gefahren, kennt die BMW GS und holt Werkzeuge aus dem Auto! Ich deute an, das machen wir morgen früh, er lässt nicht locker, wir beginnen gleich! Verkleidungen demontiert, die Befestigung des Sturzbügels klopft er mit einem Holzstück und Vorschlaghammer aus. Ich kümmere mich um den Ventilator, der blockiert. Zuerst denke ich, dass die Befestigung so verbogen ist, dass er am Kühler feststeckt, bewege das Lüfterrad einige Male, sehe wie ein Stein (etwa 5 Millimeter) herausfällt und sich das Lüfterrad wieder leicht bewegen lässt! Sieht gut aus! Fülle den Kühlflüssigkeitsbehälter mit Mineralwasser auf, Batterie angeklemmt, Zündung lässt sich einschalten, Startknopf, die BMW läuft als ob nichts gewesen wäre. Lasse den Motor am Stand laufen, Temperaturanzeige: 75, 80, 85, 90 Grad, bei 93 läuft der Lüfter an, die Temperatur geht wieder zurück! Passt! Am Display laufen noch immer die Fehlermeldungen, das stört mich aber überhaupt nicht. Wir biegen die verbogenen Teile noch zurecht. Das Windschild hält mit zwei Kabelbindern perfekt. Es wird finster. Im Hauseingang ist gleich die Küche, da gibt es für mich Abendessen: Suppe mit Huhn, Gemüse, Reis, … kaum habe ich die Schüssel ausgelöffelt gießt die Hausfrau eine weißgelbliche Flüssigkeit in die Schale – Tee mit Yakbutter … und Reste der Suppe, Reiskörner, … aber es ernährt. Fließwasser, geschweige Dusche gibt es natürlich nicht, in einer Schüssel etwas Wasser zum Händewaschen. Im Zimmer WhatsApp mit Sigrid, es gibt zwar fast nirgends Fließwasser, aber die Internetabdeckung ist hier weitverbreitet, selbst in den abgelegensten Orten.
Es klopft an der Tür, die Tochter des Hauses deutet an, dass ich herunter kommen sollte. Dort sitzen bereits drei junge Männer, Bauarbeiter. Sie sind im zweiten Zimmer untergebracht, vor ihnen eine riesige Schüssel gefüllt mit ??? kann ich vorerst nicht erkennen, dann mit der Zeit: Gefüllte Lammdärme, gefüllte Lammmägen, Leber und sonstige Innereien. Sie laden mich zum Essen ein! In ihren Gesichtern kann ich das Lachen und die Vorfreude auf das Festmahl sehen. Griff in die Schale, einer zieht einen Lammdarm heraus, der andere schneidet mit einem riesigen Messer ein großes Stück ab und gibt es in die Schale vor mir. Die anderen füllen ebenfalls ihre Schalen und beginnen laut schmatzend zu essen. Selbstverständlich mit Buttertee. Gleich vorweg: Ich habe von allem gegessen und probiert, die Lammleber war ganz o.k. der Rest sehr gewöhnungsbedürftig, aber genießbar. Natürlich habe ich über die typische Küche der Mongolei gehört und gelesen, dass ich selber in einer entlegenen Gegend die Möglichkeit habe mit Einheimischen zu Essen hatte ich mir erhofft, aber eigentlich nicht für möglich gehalten. Volltanken und weiter Richtung Mörön. Die Landschaft ändert sich, wird gebirgiger, die nördliche Route wird ein weiterer Höhepunkt auf der Reise durch die Mongolei – siebenhundert Kilometer durch sehr entlegenen Gebiete. Hundert Kilometer vor Mörön wieder die typischen weitverstreuten Ansiedlungen von Jurten, erste Spuren von Tourismus, 4×4 WD Gruppentouren. Mörön ist der Zugang zum Khovsgol Lake, DAS Tourismuszentrum in der Mongolei, sowohl für Einheimische, als auch Ausländer. Im Hotel 50/100 fast ausschließlich Touristen auf 4×4 Tour, im Restaurant ein Bild, das mich wegen der Vieldeutigkeit zum Schmunzeln gleichermaßen wie zum Nachdenken bringt: Vor einem See hockt eine mongolische Gruppe in ihren traditionellen Gewändern, davor Touristen mit den Fotoapparaten – No comment … Amelie Schenk hatte mich eingeladen sie in ihrem Ferienhaus, dreißig Kilometer nördlich von Khatgal, zu besuchen. Die Zufahrt und die Gegend beim den See sind sehr sehenswert, die unzähligen Ferienhaussiedlungen zeigen, dass es viele Leute hierher zieht.
Finde Amelie in ihrem Ferienhaus in einem Touristcamp, liegt direkt am See. Körperpflege im See. Die Toilette: Plumpsklo, an der Straße auf einem Podest, so zu sagen im ersten Stock. Amelie erzählt über ihre Erlebnisse und Erfahrungen in der Mongolei, ihre Bücher, Zusammentreffen mit Richard Gere, dem Dalai Lama. Körperpflege wird in unseren Breiten überwertet, Mongolen waschen sich oft mehrere Monate nicht, das Alkoholthema und die wirtschaftlichen Entwicklungen des Landes, das eigentlich nahe dem Staatsbankrott steht, Bodenschätze, Minen, Korruption, … Mittagessen in der Nachbarjurte: Eintopf mit glühenden Steinen, eine weitere Spezialität der Mongolei. Von Mörön über die Berge Richtung Süden. Die „Straßenbauer“ der Mongolei scheuen keine Steigung und Beschaffenheit der Wege, tiefe Auswaschungen in den Erdwegen, Sandpassagen, etliche Stürze. Erreiche ziemlich ausgelaugt den Ögii See beim Eingang zum Orkhon Valley, Jurten Camp vom Feinsten, gepflegte Duschen, gutes Essen.
Die beiden Betreuer des Camps kommen abends mit Kohlen um den Ofen einzuheizen – ist zwar nicht wirklich notwendig, macht aber die Jurte so richtig heimelig. Querfeldein weiter nach Karakorum. Die alte Hauptstadt der Mongolei, viele Busse, Gruppen. Treffe Max und Stefan aus Salzburg mit ihren Enfields. Gemeinsames Mittagessen, Erfahrungsaustausch. Sie wollen weiter über Gorno Altaisk zurück nach Europa. Ersatzteile haben sie nach Bijsk geordert, die sollten in den nächsten Tagen ankommen. Als sie mir den Kontakt in Bijsk zeigen erkenne ich das Profilfoto, es ist Vladimir. Sie werden Bike Post Alexander und Vladimir in Bijsk treffen, mit den Beiden war ich bei meinem Problem mit dem Wasser im Benzin in Russland in Kontakt – ist tausend Kilometer entfernt, wieder einmal die große, kleine Welt.
Weiter nach Arwaicheer. Eigentlich ein nettes Hotel, entdecke nur eine Unzahl von Käfern im Zimmer und Bett, kurzer Check: Es sind keine Bettwanzen, damit kein Problem. Richtung Süden in die Gobi. Anfangs ist der Weg etwas ausgesetzt – Wasserfurten, Morast, Sand. Nach hundert Kilometer komme ich dann auf eine breite Fahrbahn. Geht flott voran, bis die rote Fehlermeldung: „Reifendruck“ kommt. Ein zwei Zentimeter langer Schnitt im Hinterreifen, drücke drei Dichtstreifen in den Schnitt, aufpumpen, es bleibt eine Undichtheit. Hatte eine kleine Ansiedlung passiert und fahre zurück. Eine Tankstelle: „Gibt es eine Werkstätte“? Sie deuten auf ein Haus in einigen hundert Metern Entfernung. Das Gelände ist eingezäunt und versperrt, als ich in die Nähe komme bellen mich einige Hunde ziemlich aufgebracht an. Sehe eine händische Einrichtung zum Herausdrücken von Reifen an der Seite liegen, damit ist auch schon eine Lösung vorhanden. Einige Kinder kommen vorbei, ich frage wo der Mechaniker ist, sie lachen nur und meinen der liegt irgendwo betrunken herum. Sie führen mich etwas weiter zu einem Auto, das Seitenfenster wird herabgekurbelt, ein Plastikbecher herausgereicht – Wodka im Viertel, da muss man durch. Vier Männer sitzen im Auto, so viel ich sehen kann sind sie auch sturzbetrunken… Die Kinder erzählen von meinem Problem, jetzt wollen sie helfen. Führen mich zu einem anderen Haus, Garagentor wird geöffnet, also das dauert dann doch etwas länger, erst einmal bis sie den Schlüssel finden. In der Garage eine Presse für Reifenmontage! Das hätte ich nicht erwartet. So schnell geht es aber auch nicht, das Gerät funktioniert mit Druckluft, den Kompressor schieben sie über das Gelände zur Garage. Der Kompressor braucht noch Strom. Sie verlegen quer über den Hof das Stromkabel, der Anschluss über die Steckverbindungen ist bereits abenteuerlich und geht – wie zu erwarten – nicht. Über die Restdruckluft können wir den Reifen von der Felge pressen, zum Aufpumpen haben wir keine Luft mehr. Also den Kompressor wieder zurück zum Haus, angeschlossen und: läuft, zumindest kurz, bevor es wieder aus ist. Wir demontieren den alten Reifen, setzen den neuen Reifen ein. Nach etlichen Versuchen gelingt es Druckluft in das Ventil zu bekommen und den Reifen aufzupumpen. Passt! Auch wenn die Aktion etwa drei Stunden gedauert hat. Kostet drei Euro, gebe ihnen fünf und bedanke mich für die Hilfe, sie bieten mir noch einen „Schluck“ vom Wodka an, den ich freundlich mit Hinweis auf Motorrad ablehne.
Mittlerweile bin ich in der mittleren Gobi angelangt, der Weg ist zwar teilweise tiefer Sand, ich komme trotzdem gut bis Bajandsag, die „Flaming Cliffs“, voran. Am Weg ein Ger Camp, sie haben noch Jurten frei, ich checke ein. Luxus Jurte, mit bestausgestatteten Duschen und WC´s, mitten in der Wüste Gobi!!! Gruppen in 4×4 Wagen treffen ein, Schwaben. Gemeinsames Abendessen im Restaurant. Nächster Halt: Yolim Am, Geierschlucht, viele Busse, Autos, … Weil ich schon da mal bin, möchte ich das ganze Programm, Eintrittsgebühr in die Schlucht, Spaziergang einige Stunden durch die Klamm.
Mit Pferden kann man das erste Drittel hineinreiten, Souvenirverkäufer entlang der Strecke. Spare mir zum nächsten Highlight, den „Singenden Dünen“, zu fahren und beschließe meine Reise durch die Mongolei hier zu beenden. Der Streifen von Ulaanbaatar nach Dalandsadgad ist so erschlossen, dass es mir keine Freude bereitet. Ich bin mir bewusst, dass östlich von Dalandsadgad noch unberührte Orte sind, welche durchaus sehenswert sind, diese sind aber entlegen und es bedarf eines Zeitaufwandes sie zu erreichen.
Mit Sigrid hatte ich schon vereinbart, dass wir im September noch nach Süditalien reisen wollen. Auch die Idee das Motorrad in der Mongolei zu parken und nächstes Jahr weiter nach Wladiwostok, Südkorea und Japan zu fahren verwerfe ich, da es wegen des kalten Winters erst im Juni möglich ist diese Strecke mit dem Motorrad anzugehen – das ist mir dann doch etwas zu lange. Umfahre Ulaanbaatar über den Stadtrand. Die Straße von Ulaanbaatar nach Ulan Ude war die erste ausgebaute Strecke in der Mongolei. Sie wurde erst vor kurzem auf der ganzen Strecke weggerissen und ist im Neubau. Nicht, dass sie abschnittsweise renoviert wird, hunderte Kilometer wurden in einem weggerissen, ohne dass ein Stück Neubau begonnen wurde! Die Umfahrung ist eine Odyssee. Die Grenzformalitäten sind sowohl auf mongolischer als auch russischer Seite zeitaufwändig, aber problemlos.
Servus Toni!
Wieder einmal schwer beeindruckt von Deinem Bericht. Was sich doch alles mit Wodka u. Kabelbindern regeln lässt. Solltest dem Bordcomputer auch etwas Wodka einschenken. Wir planen auch schon fest, bis in die Mongolei werden wir nicht kommen aber voraussichtlich bis Tadjikistan, kurz China, Pakistan, Ladakh. Schau ma mal….
Freu mich auf Deinen Vortrag
Franz Samide