Under Fire!

August 2021:

Die Erfahrung bei BMW in Bukarest war ernüchternd: Der vermeintlich einfache Austausch der Topflager an der vorderen Gabel war ein Reinfall. Nach acht Stunden in der Werkstätte war zwar vieles repariert worden, nur nicht das weswegen ich gekommen bin – ok, es war dann alles kostenlos, aber auch unnötig.
Es ist schon nach 16:00 Uhr, als ich mich auf den direkten Weg in Richtung Bulgarien mache, Grenzübergang Russe. Während ich mich noch ärgere hatte ich vergessen, dass wir in Zeiten einer Pandemie leben und eine online-Anmeldung für den Grenzübertritt notwendig ist. Die habe ich auf halbem Weg nachgeholt. Das Passieren der Grenze war relativ einfach, dauert nur seine Zeit, die habe ich mir mit sehr netten Gesprächen mir den anderen Wartenden verkürzt – wurde auch mit Süßigkeiten, Masken, … versorgt. Einige Lew aus dem Bankomaten gezogen. Nächtigung in einem typischen Hotel in Targowischte. Ich habe wie meist keinen Plan – Fixpunkt: Sigrid und Familie sind im August auf Urlaub in Griechenland.  Auf dem Weg ist mir einfach so in den Sinn gekommen: Hakari, im Osten der Türkei an der iranischen Grenze hat mir bei meiner Reise in den Iran sehr gefallen, habe auch etliche Freunde und Bekannte, die könnte ich doch besuchen. Das ist dann doch eine ziemliche Strecke und daher halte ich mich nicht länger in Bulgarien auf – ohne Umwege in Richtung Türkei.  Online Anmeldung für die Türkei – die Visabestimmungen sind ausgesetzt, jetzt braucht man eine Anmeldung wegen Corona. Die Grenzformalitäten an der Grenze in Richtung Edirne sind vollkommen unkompliziert und rasch erledigt. In Edirne zum Mobilcom shop – SIM Karte. Mit vollständiger Registrierung für die Prepaid Karte dauert es nicht einmal ein halbe Stunde und ich bin Online. Istanbul ist nicht mein bevorzugtes Ziel, wunderschöne Stadt, habe ich schon sehr oft beruflich besucht, aber der Verkehr! Nehme wieder den Weg über Canakkale. Mit der Fähre über die Dardanellen, langer Stau vor der Fähre, kein Problem mit dem Motorrad, da bekommt man immer einen Platz. Wird wahrscheinlich das letzte Mal mit der Fähre sein, die neue Brücke über die Dardanellen ist bereits im Bau und weit fortgeschritten. WhatsApp an Sadik, hatte ihn mit seinen Freunden bei meiner Reise in den Iran in Kandovan kennengelernt, sofort kommt die Einladung zu ihm nach Hause in Denizli. Obwohl er mit seiner Familie in Istanbul wohnt, lebt er jetzt bereits seit einem Jahr mit seiner Mutter in seinem Haus in Denizli. Die beiden sind wegen Corona sehr vorsichtig, ich bin der erste Gast in seinem Haus seit über einem Jahr. Nicht einmal sein Bruder, der im Nebenhaus wohnt, besucht ihn. Köstliches Abendessen, zubereitet von seiner Mutter. Aus Vorsicht geht er tagsüber nicht aus dem Haus, gegen Mitternacht machen wir einen Spaziergang in der Nachbarschaft. Die sprichwörtliche türkische Gastfreundschaft ist beeindruckend, tiefsinnige Gespräche über Geschichte, Philosophie, Religion, … mit einem völlig aufgeklärten Menschen. Vieles könnte so einfach sein …

In den Nachrichten fast nur Berichte über die schweren Waldbrände, die haben bereits Auswirkungen für die weitere Route in Richtung Osten. Den Tipp von Sadik zum See Salda Gölü ist ein Glücksfall. Bin schon vor zwei Jahren, ohne ihn zu bemerken, daran vorbeigefahren, dieses Mal nehme ich mir Zeit für eine Umrundung, Stopp für Snacks – sehr sehenswert! Sagalassos, eine antike Stadt in den Bergen. Komme mit einigen Einheimischen ins Gespräch, als ich ihnen erzähle, dass ich über die Berge ans Meer möchte, zeigen sie mir die aktuellsten News: „Wegen riesiger Waldbrände sind die Straßen in den Süden seit einigen Stunden geschlossen“ – man kann die Rauchsäulen bereits am Horizont sehen. Ich mache mich trotzdem auf den Weg in die Richtung – We will see! Einige Kilometer weiter sehe ich Männer aus dem Straßengraben auf die Straße kommen, denke mir noch: Die haben Gewehre, das sind wahrscheinlich Jäger. Als ich näher komme versuchen sie mich aufzuhalten – das geht gar nicht, freundlich gewunken und  weiter. Im Rückspiegel sehe ich wie sie die Gewehre vom Rücken nehmen, auf Anschlag gehen, zielen und dann höre ich nur noch den Bumms! Mehrere Schüsse, und die nicht in die Luft. Gebe Gas, überhole das Auto vor mir. Die Aktion dauert nur wenige Sekunden bevor ich in die nächste Kurve biege – mir kommt das alles sehr unwirklich und surreal vor. Einige Kilometer weiter sind dann die Absperrungen der Straßen in Richtung Osten und Süden, viel Polizei und Feuerwehren. Halte bei einer Gruppe von Polizisten und erzähle ihnen, dass unweit von hier auf mich geschossen wurde. Auch der Autofahrer, den ich überholt hatte, hält an und fuchtelt wild mit den Händen: „Die haben auf uns geschossen!“ Die Polizisten, ganz entspannt: „Die Feuer wurden von Terroristen gelegt, wahrscheinlich haben sie auf euch geschossen.“ Das war’s?!?!

Die Straße nach Isparta ist noch offen, ich nächtige am See Egirdir Gölü.
Meine Gedanken: Es ist dies das erste Mal, dass ich auf meinen Reisen in einer brenzligen Situation war (also was Gewalt betrifft). Ausgerechnet in der Türkei, wo ich sehr oft unbeschreibliche Gastfreundschaften erlebt habe. Reisen ist für mich ganz besonders Kopfsache, es muss einfach passen, jetzt passt es nicht mehr. Ich beschließe nicht weiter zu fahren, sondern umzukehren – auf nach Griechenland. In die Türkei werde ich, nach einer Abkühlungsphase, sicher gerne wieder fahren.
Alexandroupolis ins GPS und los. Entlang der Strecke immer wieder Brände, Rauchwolken. Nach zwei Tagen über die Grenze nach Griechenland, natürlich mit Online Anmeldung, wegen Corona. An der Grenze wird ein Antigen Test gemacht, nach einer Stunde kommt die SMS mit dem negativ Befund.
Die Topflager an der BMW müssen immer noch getauscht werden, finde im Internet eine BMW Werkstatt in Thessaloniki – Email. Bereits nach einigen Stunden die positive Antwort: Termin am nächsten Tag, 9:00 Uhr. So lerne ich Janni kennen. Grieche, in Deutschland aufgewachsen, eine Griechin geheiratet und zurück nach Griechenland. Die Reparatur ist für ihn kein Problem. Er ist begeisterter Motorradfahrer, von ihm bekomme ich viele gute Tipps für Nordgriechenland, die richtigen Ort zum Übernachten, Meteora Klöster, Papingo, Pindos National Park, Straßen abseits des Mainstreams …
Im Anemi Hotel in Kato Pedina gefällt es mir so gut, dass ich einige Tage bleibe.

Nachdem ich noch einige Tage Zeit habe bis Sigrid nach Thessaloniki kommt, beschließe ich kurzer Hand nach Albanien zu fahren – war vor zwanzig Jahren schon auf einer Tour, aber das Land fasziniert mich noch immer. Unwegsame Wege, in den Karten als Straßen eingezeichnet, die bestenfalls Wandersteige sind. Tolle Berge, Landschaften. Das Wichtigste in der heutigen Zeit? SIM Karte! Die bekomme ich ganz easy in Permet. Frage die Verkäuferin im Mobilephone – Shop, wo es schöne Orte in der Gegend gibt?! Sie meint nur lapidar: Wir stehen früh auf zum Arbeiten, dann nach Hause, Essen und Schlafen, sie weiß nicht wo es nette Orte gibt!
Über die Berge nach Corovoda, weiter nach Moglice, Korca, Ohrid See.

Von Kreis Elbasan nach Tirana – auf der ganz neuen Autobahn, mein GPS kennt sie noch nicht einmal. Es geht leicht bergauf, Vollgas und: Der Drehzahlmesser geht nach oben, der Tacho weniger!?!? Die Kupplung ist durch! Die weitere Geschichte dazu gibt es im vorigen Beitrag „Reise mit – technischen – Hindernissen„. Durch meine Reisen in Südamerika, der Atacama Wüste, Tadschikistan, Mongolei, … bin ich es gewohnt Probleme zu haben und zu lösen. WhatsApp mit Bernhard von BMW Wien, Kupplung bestellt, am nächsten Tag abholbereit. Sigrid kommt einen Tag später nach Griechenland, sie nimmt die neue Kupplung mit.
Sehr nettes Hotel entlang der Strecke, auf einem Hügel. Das Abendessen und Frühstück ist für drei, also MEIN Abendessen und Frühstück! Ich überlege, wie ich einen Transport für mein Motorrad bis zur griechischen Grenze und dann weiter bis Thessaloniki organisieren kann, sollte ich hängen bleiben. So lange es geht, werde ich jedenfalls fahren. Kurzer Halt am Ohrid See, Cafe Frappe. Irgendwie kommt mir der Gedanke: Ich bin doch Mitglied beim ÖAMTC und habe einen Schutzbrief – ok, bis jetzt habe ich ihn gebraucht, weil das eine oder andere Motorrad in der Garage den Geist aufgegeben hat (Vergaser verklebt, Zündschloss defekt, …) – das könnte ich doch im Ernstfall ausprobieren, obwohl …???. Die albanische SIM Karte ist für Auslandsgespräche nicht geeignet, aber ich habe doch Skype, da kann man einfach zum Ortstarif in jedem  Land der Welt anrufen. Internet, mit der albanischen SIM funktioniert perfekt => ÖAMTC – Pannenhilfe – Anruf – es läutet zweimal: „ÖAMTC Pannenhilfe, was kann ich für sie tun?“  Ich erzähle von meiner Kupplung, Albanien, Ohrid See, … und wie mir der ÖAMTC hier weiter helfen kann? Die Antwort macht mich fassungslos: „Sagen sie mir den Standort wir schicken Ihnen einen Abschleppwagen in die nächste Werkstätte. Wir bezahlen das Hotel und helfen ggf. bei der Ersatzteilbeschaffung.“ Ich stammle: „Aber das geht Motorrad noch, ist nur für den Fall der Fälle …“ Ok, er notiert es im System, sollte ich nicht weiterkommen, brauche ich nur anzurufen und sie organisieren alles weitere. Ich „fahre wie auf Eiern“ zu BMW in Thessaloniki, die letzten Kilometer nur mehr im zweiten Gang, die Kupplung rutscht voll durch.
Sigrid hat die neue Kupplung mit und Janni baut sie ohne Probleme ein.

Fazit:
Ich bin froh, dass ich in der Türkei umgekehrt habe. Die Kupplung wäre irgendwo im Osten der Türkei, an der Grenze zum Iran, eingegangen – da war mir das in Albanien wesentlich lieber – und einfacher.
Wie zur Bestätigung: Widrige Erlebnisse haben meist sehr gute Seiten!

4 Kommentare zu “Under Fire!

  1. Bruno Züger

    Lieber Toni, ich habe lange nichts von dir gelesen. Schön, dass du wieder unterwegs bist. Und noch schöner, dass die unliebsame Begegnung gut ausgegangen ist!!

    Wie immer bin ich sehr gespannt auf neue Berichte von dir.

    Liebe Grüsse, Bruno Züger

    • Anton Marschall

      Hoi Bruno,
      Die Freude ist ganz auf meiner Seite!
      War eine sehr lange Durststrecke – das waren wieder die ersten Gehversuche. More to come …
      Servus,
      Toni

  2. Lieber Toni, danke wieder für den schönen Bericht. Zum Glück fährst du schneller als die Kugeln fliegen! Albanien mit Moped habe ich heuer auch auf dem Plan, war noch nie dort und ist doch recht nahe. Schau ma mal…Alles Gute weiter! Franz S.

  3. Wolfgang Hos

    …..einer schöner Bericht, so bekomme ich wieder Lust zum Fahren

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