Grenzerfahrung – „Alltags“ – Geschichte(n)

Februar 2021:
Eine sehr persönliche Sicht auf Erlebnisse bei Reisen, geprägt von Frust, Hoffnung, Verwunderung, Kopfschütteln – An einem kleinen Beispiel:

Die „Ruta Andino“ geht von San Pedro de Atacama entlang der Grenze zu Bolivien bis Visviri im Dreiländereck Chile, Peru, Bolivien. Bin einen Großteil der Strecke bereits vor einigen Jahren gefahren  „Atacama mit dem Motorrad“  und war total begeistert. Von der Ruta Andino fehlt mir noch das Stück von San Pedro nach Ollagüe.

Nütze den Aufenthalt in San Pedro für einen „Besuch“ bei der Aduana:
„Welche Grenzen sind nördlich von San Pedro von Chile nach Argentinien und Bolivien offen?“
Die Antworten sind relativ einfach und unerfreulich:
Einige sind für LKWs geöffnet, aber alle für „Personen / Tourismus“ gesperrt! Klingt gar nicht gut.

Die Ruta Andino führt über Geysir Tatio – den Weg hatte ich mir bisher gespart, ist touristisch voll erschlossen. Jetzt passt es gut. Bin der einzige Besucher, die Pandemie zeigt besonders hier ihre Auswirkungen. Eintritt muss ich trotzdem bezahlen, obwohl ich nur durchfahren möchte, na dann aber auch einige Bilder. Die B-245 hat einige sehr schöne, auch herausfordernde Abschnitte. Von Calama bis Ollagüe ist die Ruta 21 dann durchgehend asphaltiert. Wollte eigentlich in Ollagüe übernachten, leider hat keines der Hostals offen.

Die Probe auf’s Exempel:
Grenzübergang nach Bolivien. Es ist früher Nachmittag. In den einzelnen Gebäuden sind weder Policia, für die Migracion, noch Zollbeamte, für die Aduana, zu sehen. Finde aber jemanden für die Kontrolle der Lebensmittel – der holt den Polizisten für die Migracion. „Ich möchte ausreisen!“ Der Polizist: „Ausreisen geht, Einreise nicht.“ Aber ich muss zuerst zum Zoll wegen meines Motorrades, er denkt das geht nicht. Auf zum Häuschen für den Zoll. Da wartet mittlerweile ein LKW Fahrer auf seine Abfertigung. Der Zöllner taucht nach einigen Minuten bei uns auf. „Ich möchte ausreisen!“ Der Zöllner: „Das geht nicht, die Migracion ist für Personen / Touristen gesperrt.“ Ich: „Die Migracion ist für die Ausreise möglich“. Jetzt kommt der Zöllner in Fahrt. Der LKW Fahrer muss warten, wir zur Migracion. Lange Diskussion, mit dem Ergebnis: Ich kann ausreisen, aber wenn mich die Bolivianer nicht einreisen lassen, gibt es für mich kein zurück!
Ok., dann frage ich eben bei der bolivianischen Grenzstelle nach, ob und unter welchen Voraussetzungen ich einreisen darf. Die Beiden stimmen dem Vorschlag ungern und verhalten zu. Die bolivianische Grenzstelle ist ca. 10 km weiter. Ich sage ihnen, dass ich hinüber fahre, mich erkundige und dann wieder zurückkomme – das geht gar nicht! Das Motorrad bleibt hier!? Ich kann ja zu Fuß gehen!? Der bolivianische LKW Fahrer wartet noch immer auf seine Abfertigung, und …?! Natürlich darf ich mit ihm mitfahren. Nette Unterhaltung mit dem Fahrer, er bringt mich zur bolivianischen Grenze und erklärt dem Polizisten mein Anliegen, und: Kein Problem! „Registrierung, PCR Test, Krankenversicherung und jeweils drei Kopien von allen Dokumenten.“
Ich habe außer der Krankenversicherung natürlich nichts davon. Lösungsvorschläge: Die Registrierung kann ich auf seinem Computer machen. Wegen des PCR Tests ruft er in der Zentrale an: Den PCR Test brauche ich jedenfalls. War mir aber ohnehin klar. Jetzt noch zur Aduana. Der Zöllner fragt nach den Dokumenten – die gebe ich ihm. Ja aber, wo ist die Bestätigung des Eigentümers, dass ich mit dem Motorrad über die Grenze darf? Ist mein Motorrad – dann ist es ohnehin kein Problem. Wir vereinbaren, dass ich in Chile einen PCR Test mache und dann wieder wegen der Einreise komme – alle sind zufrieden und einverstanden. Der Polizist sucht für mich eine Mitfahrgelegenheit zurück nach Chile und so sitze ich wieder in einem bolivianischen LKW auf dem Weg zurück nach Ollagüe.

Erkläre den Chilenen das Ergebnis meiner „Reise“ nach Bolivien, dass ich einen PCR Test machen lasse und dann wieder komme – Die sind passerstaunt! Ollagüe ist jetzt nicht eine große Stadt, erkundige mich auf dem Gemeindeamt, wo man hier einen PCR Test machen lassen kann: Auf der Post, gleich gegenüber. Ich rüber zur Post, tatsächlich gibt es einen Raum wo PCR-Tests durchführt werden. Der zuständige Mann wehrt sich mit Händen und Füssen einen Test zu machen, bis ich es verstehe: Wenn ich hier den Test mache, wird die Probe nach Calama geschickt und kommt frühestens nach vier Tagen zurück, das Testergebnis ist aber nur drei Tage nach Durchführung des Tests gültig. Da hat er voll recht. Nach Calama sind es gerade mal 200 Kilometer, komme um 18:00 an. Halt beim ersten Spital: Ich möchte einen PCR Test. Denn machen sie hier nicht, sondern in der Klinik. Den Standort zeigen sie mir auf dem GPS. In der Klinik: Desinfektion, Temperaturmessung, Anmeldung. Als „Unkundiger“ erhalte ich einen persönlichen Betreuer, der mich durch den Bürokratiedschungel durchgeleitet. Letztendlich sitze ich um 19:00 Uhr im Behandlungszimmer, mein Blutdruck wird gemessen – ist etwas höher als sonst, führe ich auf die Höhe in Calama zurück. Warum sie überhaupt eine Blutdruckmessung machen ist und bleibt mir rätselhaft. Der Abstrich: Zuerst in der Nase, dann im Rachen – mit demselben Stäbchen!!! Hätte es mir eventuell anders rum vorgestellt, aber o.k.
Kostet mich 75,- Dollar, das Ergebnis gibt es per Email nach einem Tag, kann aber bis zu zwei Tage dauern. Hotel in der Nähe, ich optimistisch: Eine Nacht. Warte am nächsten Tag auf das Testergebnis, am Abend pilgere ich wieder zur Klinik. Der Empfang beim Eingang ist ein anderer, die Dame weiß trotzdem sofort, dass ich wegen des PCR-Tests komme und ruft gleich „meinen“ Betreuer. Ohne viele Worte verschwindet er hinten im Gang und kommt nach einigen Minuten mit dem Testergebnis zurück: Negativ! Die Uhrzeit am Prüfbericht ist von der Früh, warum sie ihn mir nicht geschickt haben bleibt mir ein Rätsel, ist aber nicht mehr zu ändern und daher unwichtig. Weil es sich zeitmäßig nicht mehr ausgegangen wäre, hatte ich mir bereits am Nachmittag ein Hotel in der Nähe gesucht. Dort mache ich mich auch an die Registrierung. Nicht ganz easy, das System verweigert das Hochladen meiner Dokumente: Foto, Reisepass, PCR Test, Krankenversicherung. Die Fehlermeldungen sind auf Spanisch, und so kommen sie mir auch vor. Nach etlichen Versuchen, Änderung der Dateiformate, … mein letzter Pfeil im Köcher: Dateigröße. Ich reduziere die Formate auf die kleinsten Größen. Das Foto lade ich nicht hoch, sondern lasse es vom System machen. Enter – keine Fehlermeldung – eine Uhr zeigt den Fortgang an, und: Auf dem Bildschirm erscheint online die erfolgte Registrierung! Anklicken und es steht als pdf zur Verfügung! In der Rezeption gibt es dann auch gleich die Ausdrucke, je drei Stück.

Am Vormittag: Von Calama nach Ollagüe. Die chilenischen Beamten an der Grenze sind noch immer skeptisch, raten mir ab auszureisen: Viel zu gefährlich. Ich komme sicher nicht mehr nach Chile herein, wenn etwas schief geht. Das nehme ich auf mich, nach zehn Minuten ist alles erledigt, Stempel im Pass, der Zöllner nimmt mir wortlos meine temporäre Einfuhrgenehmigung ab und deutet mit der Hand, dass ich fahren soll. Nicht ohne seinen Kollegen hinzuweisen, dass das verrückt ist. Froh die erste Hürde geschafft zu haben, bin ich gespannt, wie es weiter geht…
Die zehn Kilometer „Niemandsland“ durchfahre ich mit positiven Gedanken.
Halt bei der Migracion. Der Polizist, mit dem ich die Vereinbarung gemacht hatte, sitzt nicht in der Kabine. Keine Schlange, ich bin allein, gebe meinen Pass am Schalter ab. Der Polizist nimmt meinen Pass und geht ohne viel zu sagen aus dem Büro. Nach zehn Minuten kommt er mit „meinem“ Polizisten im Gepäck zurück. Freundliches Händeschütteln. Gebe ihm den Ausdruck meines PCR Tests und die Registrierung – jeweils in dreifacher Ausfertigung. Kurzer Blick: Passt! Kein Problem. Er freut sich sichtlich, dass ich auch die Registrierung geschafft habe. Kurze Anweisung an seinen Kollegen, der macht sich sofort am Computer zu schaffen, und das dauert. Sie haben kein Internet beim Grenzposten und hängen am chilenischen Netz, und das ist in der Einöde auch nicht das schnellste. Nette Unterhaltung mit den Polizisten, wo sie herkommen, was ich mache, wohin, …
Irgendwann kommt dann ein Ausdruck aus dem Drucker – das was man früher selber händisch ausfüllen musste ist jetzt ein Ausdruck und im System. Stempel im Pass. Werde zum Zollgebäude begleitet. Der Zöllner, mit dem ich das Gespräch zwei Tage vorher hatte, steigt gerade ins Auto – sein Dienst ist zu Ende. Herzliche Verabschiedung, Daumen nach oben. Seine Kollegen nehmen die Unterlagen von mir und verschwinden im Büro. Es dauert, das Internet … Nach 15 Minuten kommt der Zöllner zurück und fragt wie lange ich die temporäre Einfuhrgenehmigung brauche. Von der Migracion habe ich 90 Tage erhalten, daher hätte ich natürlich auch für das Motorrad gerne die 90 Tage – das leuchtet ihm ein. Nach weiteren 15 Minuten kommt er etwas geknickt wieder heraus: Im System sind maximal 30 Tage möglich. Aber ich kann an jeder Aduana in Bolivien zwei Tage vor Ablauf der Frist eine Verlängerung beantragen. Man sieht, dass es im leid tut und er gerne mehr für mich getan hätte, aber „das System“. Nach einigen Minuten kommt er dann mit den Ausdrucken, kurzer Check der Fahrgestellnummer, Unterschrift und meine Einreise ist erledigt. Entschuldigt sich nochmals für das Problem mit den 30 Tagen. Alles in allem hätte das ganze etwa 45 Minuten gedauert – trotz Problemen mit dem Internet. Er findet dann auch noch heraus, dass ich beim Einreisezettel „Anton Wien“  heiße – gemeinsam zurück zur Migracion, wird ausgebessert. Durch die vielen Gespräche abseits des Einreiseverfahrens brauche ich dann doch zwei Stunden, was mir und den Beamten Abwechslung und Freude macht. Herzliche Verabschiedung. Mein Tagesziel ist Uyuni.

Buche unterwegs noch schnell ein nettes Hotel – Casa del Sal, ganz neu. Die 230 Kilometer waren noch vor zwei Jahren durchgehend Schotterstraße, mittlerweile wird an der Asphaltierung der Strecke gearbeitet, komme gut voran. Die Stelle, an der ich mit Sigrid vor einigen Jahren den Unfall mit dem Highsider, mit groben Schäden am Motorrad hatte, ist mittlerweile asphaltiert. In Uyuni zum Telekom Shop, wundere mich, dass ich ohne Warten sofort drankomme. Ein netter Mitarbeiter kümmert sich sowohl um die SIM Karte, als auch das Guthaben und die notwendigen Einstellungen. Nach zehn Minuten bin ich auch in Bolivien online, … und der Shop bereits geschlossen.
Zum Hotel sind es nur einige hundert Meter, aber: Einmal in der Woche ist auf der Straße Markttag, das Hotel liegt mittendrin, und das ist heute. Da geht nix. Fahre um den Markt herum und suche die kürzeste Strecke durch den Markt zum Hotel. Jetzt ist sehr viel Kommunikation gefragt, dass der Weg von den einzelnen Ausstellern freigemacht wird. Sind dann doch viele, die haben überhaupt keine Freude und sind sehr unfreundlich gesinnt. Nach kurzen Wortwechseln ändert sich die Stimmung aber sehr rasch und ich werde durchgeleitet – bis zum Nächsten …
Komme letztendlich gut durch, auch die Kommunikation macht mir viel Spaß und ich ernte viel Schulterklopfen und positives Feedback in dem Hürdenlauf.
Alles in allem ein sehr guter Tag!
Ich konnte über einen gesperrten Grenzübergang nach Bolivien einreisen.
Die Alternative wäre gewesen: 2.000 Kilometer bis Santiago de Chile, über die Anden nach Mendoza und wieder 2.000 Kilometer auf der argentinischen Seite nach Bolivien – und noch eine Grenze mehr.

2 Kommentare zu “Grenzerfahrung – „Alltags“ – Geschichte(n)

  1. Hallo lieber Toni! Unfassbar was du hier geschildert hast , offensichtlich ist eine Grenze und ein Zollamt die letzte Bastion um noch grenzenlos Macht mit Sinnlosigkeit zu paaren…. Hut ab diese nervende Prozedur hätten wir nicht geschafft! Beim Lesen deiner Story bleibt einem echt die Luft weg. Liebe Grüße aus dem gemütlichen Peloponnes wo die Uhren noch anders gehen. Zur Zeit sind so gut wie keine Touristen da was absolut herrlich ist. Corona und teuer Sprit sowie die frühe Jahreszeit sind der Grund dafür. Nicht einmal das berühmte deutsche Wohnmobil ist zu finden…Liebe Grüße Stefan und Michi

    • Anton Marschall

      Liebe Michi, hola Stefan,
      Der Peloponnes ist aber auch eine wirklich schöne Ecke in Griechenland, egal ob Kalamata oder Monemvasia, oder … Wenn dann auch noch die sprichwörtliche griechische Ruhe darüber liegt, ganz besonders! Viele in Europa wünschen sich die „alten Grenzen“ zurück, ohne zu wissen wie Willkür und Autoritätsgehabe die Menschen und die Wirtschaft nieder drücken. Nach Info aus unterschiedlichen Quellen war ich wahrscheinlich der Einzige der in dieser Zeit die Grenze von Chile passieren konnte – macht es aber nicht besser. In Chungara warten LKW Fahrer 5 Tage!!! auf das Passieren der Grenze – 20 km Stau, ganz normal. Habe mit Einigen gesprochen, unfassbar! Letzte Woche bei meiner ganz „normalen Ausreise“ aus Bolivien nach Argentinien: 5 Stunden, für ca. 50 Personen. Während der Zoll und die Polizei ihren Dienst gemacht haben, hat die wegen Corona eingeführte „Gesundheitsheitsstelle“ einfach zwei Stunden Mittagspause gemacht., bei einer Öffnungszeit von 9.00 bis 16:00 Uhr.
      Euch eine gute Zeit und viele schöne Erlebnisse, Toni

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